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JS Rechtsanwälte Steinhöfel

„Facebook“-Pranger von BILD in weiten Teilen rechtswidrig

In der BILD vom 20.10.2015 finden sich unter der Überschrift „BILD stellt die facebook-Hetzer an den Pranger“ ca. vierzig Facebook-Beiträge. Daneben die Namen und Fotos der postenden Personen. BILD schreibt:

„Deutschland ist entsetzt: Ganz offen und mit vollem Namen wird in sozialen Netzwerken zu Gewalt aufgerufen und gehetzt – gegen Ausländer, Politiker, Journalisten, Künstler… hemmungslos und ungestört, vor allem auf Facebook und Twitter. So viel offener Hass war nie in unserem Land. Längst ist die Grenze überschritten von freier Meinungsäußerung oder Satire zum Aufruf zu schwersten Straftaten bis hin zu Mord. BILD reicht es jetzt: Wir stellen die Hetzer an den Pranger! Herr Staatsanwalt, übernehmen Sie!“

Die Überschrift zeigt, daß der Aufruf an die Staatsanwaltschaft, zu „übernehmen“ sich nicht darin erschöpft, es möge überprüft werden, ob überhaupt ein strafbares Verhalten vorliegt. Vielmehr meint die Boulevard-Zeitung, daß die „facebook-Hetzer“ sich strafbar gemacht haben und entsprechend verfolgt werden müssen.

Das trifft aber auf ca. ein Drittel der an den Pranger gestellten Personen nicht zu. Deren Äußerungen sind weder strafbar noch sonst rechtswidrig. Vielmehr üben die diffamierten Personen lediglich ihr Grundrecht auf freie Meinungsäußerung aus. Die Ansicht etwa, „in keinem anderen Land würden Fahnenflüchtige, Kriegsverbrecher und Terroristen so herzlich empfangen, wie in Deutschland…“ mag man teilen, oder nicht. Rechtswidrig ist eine solche Äußerung unter keinem denkbaren Aspekt. Von einem Aufruf zur Begehung von Straftaten ganz zu schweigen. Gleiches gilt etwa für

„Frau Merkel hat eine klatsche, sie will sie hier haben also kann sie auch blechen!!!“

oder

„Auf Wiedersehen es wird Zeit für eine verabschiedungskultur ich mag se nicht ich will se nicht ich brauch se nicht“.

Geschmackvoll? Zutreffend? Unangemessen? Das spielt bei der rechtlichen Würdigung keine Rolle. Das Grundrecht der freien Meinungsäusserung kennt diese Kategorien nicht.

Selbst wenn man in Bezug auf diesen Teil der Facebook-Äußerung unterstellt, es könnte der Verdacht einer Straftat bestehen, wäre der BILD-Pranger immer noch eindeutig rechtswidrig. Denn im Rahmen einer Verdachtsberichterstattung darf keine Vorverurteilung des Betroffenen stattfinden. Die Berichterstattung darf nicht den Eindruck erwecken, der Betroffene sei quasi schon überführt. Eine durch Sensationslust geprägte, bewusst einseitige oder verfälschende Darstellung ist unzulässig, so das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung 1 BvQ 46/08 – Holzklotz-Fall.

Hiergegen hat BILD verstoßen. BILD spricht unter dem Titel „Der Pranger der Schande“ insgesamt von „Hetzern“, die die Grenze von freier Meinungsäußerung überschritten hätten und zu schweren Straftaten bis hin zu Mord aufriefen. Jetzt müsse nur noch die Staatsanwaltschaft übernehmen. Bei einem Drittel der Äusserungen ist dies ungerechtfertigt. Die Denunziation von Facebook-Nutzern in Blockwart-Manier ist auch deshalb völlig unangebracht, weil BILD erst einmal die „Hetzer“ in den eigenen Leser-Kommentaren unter bild.de aufräumen könnte.

Bemerkenswert, dass sich gerade ein Organ, dessen eigene Berichterstattung oft genug selber Gegenstand gerichtlicher Verbote ist, hier zum obersten Rädelsführer einer Debattenkultur aufschwingt, die zu schwerwiegenden Eingriffen in das Grundrecht der Meinungsfreiheit führen könnten. Einfache Bürger, die sich völlig rechtmässig verhalten haben, werden verunsichert und eingeschüchtert.

Diejenigen Personen, die tatsächlich weder zu schweren Straftaten aufgerufen haben, noch sonst die Grenze der zulässigen Meinungsäußerung überschritten haben, könnten daher gegenüber BILD mit Erfolg Unterlassung und Schmerzensgeld verlangen.

© Joachim Nikolaus Steinhöfel und Reinhard Höbelt 2015

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